Am 8. Februar 1915 hatte mit „Die Geburt einer Nation“ von D.W. Griffith der größte Blockbuster der Stummfilmära Premiere. Danach explodierte die Gewalt gegen Schwarze. Auch der Ku-Klux-Klan erlebte eine neue Blüte.
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„Dass die Afrikaner nach Amerika gebracht wurden, pflanzte den ersten Samen der Entzweiung.“ Selbst wenn man sie mit allem Wohlwollen liest, ist diese Aussage verquer, gehört es doch zur Geschichte Nordamerikas, dass zuerst Siedler aus Europa die Ureinwohner vertrieben. Zu sehen war der Satz erstmalig am 8. Februar 1915 als Einblendung in einem Film, der zu einem der erfolgreichsten aller Zeiten werden sollte; dass dem Machwerk der Wille des Regisseurs zur größtmöglichen historischen Ungenauigkeit dabei half, macht die Dinge nicht besser, erzählt aber einiges über den Zustand der damaligen amerikanischen Gesellschaft.
Verfolgt man bei David Wark Griffith „Die Geburt einer Nation“ auch nur über wenige Minuten der Handlung, so wird einem klar, dass die oben zitierten Worte nur ein Vorgeschmack auf das waren, was an Geschichtsklitterung folgen sollte: Rasch steht fest, dass nicht etwa weiße Sklavenhändler für die „Entzweiung“ verantwortlich sind, sondern die Afroamerikaner selbst.
Der Film spielt zu Zeiten des Amerikanischen Bürgerkriegs, also Mitte der 1860er-Jahre, und akzeptabel verhalten sich die Schwarzen nur so lange, wie sie auf Baumwollfeldern schuften, selbstverständlich erfüllt von Glück und voller Dankbarkeit dafür, dies für ihre weißen Herren tun zu dürfen. Jedes Zugeständnis dagegen, was sie über ein reines Sklavendasein erhebt, nutzten die Menschen mit dunkler Hautfarbe, um augenblicklich den heilsamen Einfluss ihrer weißen Gebieter zu zersetzen.
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Erstmals kommt das Motiv bei einer Haushälterin auf: Sie setzt ihre sexuellen Reize dazu ein, Kontrolle über weiße Helden zu erlangen. Nach dem Sieg des Nordens im Bürgerkrieg 1865 brechen dann sämtliche Dämme. Den Afroamerikanern ist jedes Mittel recht, das die neu gewonnene Macht im Süden ausbaut – ob es nun Wahlbetrug ist, Unterdrückung aller Weißen oder Gewalt gegen Schwarze, die auch nur mit Weißen reden. Da wird Widerstand zur reinen Notwehr, und die Herren, die unter weißen Kapuzen Hatz auf Dunkelhäutige machen, wachsen sich zu Vorbildern aus.
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Und weil die Häscher so edel, hilfreich und gut sind, leben sie nach langen drei Stunden Propaganda in einem Paradies auf Erden. Ohne jeden Zweifel handelt es sich damit um einen Film, der die Vorstellung anpreist, die Hautfarbe sage etwas über die Fähigkeiten und den Wert eines Menschen aus. Bis heute nicht verstummt ist allerdings der Streit darüber, ob die fiktive Darstellung tatsächlich den Rassismus unter denjenigen anheizte, die sie konsumierten. Verteidiger des Werks, das auf der Romanvorlage „The Clansman“ des Baptistenpredigers Thomas F. Dixon beruht, weisen in der Regel zunächst auf die technischen Innovationen des Films hin. Das ist keine schlechte Strategie, wenn man von der Handlung ablenken will.
Der Regisseur D.W. Griffith (1875–1948) hatte im Süden das Vagabundenleben eines erfolglosen Schauspielers geführt, bevor er nach Hollywood kam. Dort drehte er bis zu seinem Tod 1948 Hunderte von Filmen. Dass „Die Geburt einer Nation (The Birth of a Nation)“ zu einem Publikums-Hit geriet, lag sicher zum Teil an den neuen Methoden, die der Regisseur anwandte: Griffith arbeitete mit Nahaufnahmen, Bilder gingen ineinander über, zum Schluss war sogar kurz Farbe im Spiel. Damit wäre es lächerlich, die Verdienste des Streifens beim Aufbau Hollywoods als Zentrum der Filmindustrie zu leugnen. Dagegen ist die These schwieriger zu belegen, die Darstellung der rassistischen Gewaltorgien habe eine direkte Wirkung auf das Bewusstsein der Zuschauer gehabt.
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Doch auch hier gibt es zumindest klare Indizien, die eine Beeinflussung höchstwahrscheinlich machen. Erst im Jahr 1915 verfielen beispielsweise die Mitglieder des Ku-Klux-Klans auf die Idee, sich die weißen Kapuzen und brennende Kreuze zu eigen zu machen, die der Film darstellte. Nach seiner Gründung zu Weihnachten 1865 war dieser Verein ultrarassistischer Protestanten zunächst gar nicht auf die Idee verfallen, sein Treiben durch Bekleidung zu überhöhen, um die sich ein eigener Kult aufbauen ließ.
So hielt erst der ehemalige Methodistenprediger William Joseph Simmons an Thanksgiving 1915 eine entsprechende Zeremonie am Stone Mountain in der Nähe Atlantas ab. Man darf von einer zweiten Gründung sprechen – vor dieser Zeremonie hatte der Klan so sehr am Boden gelegen, dass er um seine Existenz fürchten musste. Griffith‘ Film-Vorbild verlieh den Schlächtern eine neue Faszination, sodass sie sich mit der Prohibitionsbewegung verbinden und ihre Macht eine Zeitlang wieder ausbauen konnten.
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Auch eine Studie Desmond Angs aus dem Jahr 2020 stützt den Verdacht, dass der Streifen rassistischem Denken Vorschub leistete. Der Harvard-Historiker untersucht dort systematisch die Verbrechensraten in den Regionen, in denen der Film auf seiner Roadshow im Jahr 1915 gezeigt wurde. Er fand heraus, dass sich die Zahl der Lynchmorde in den Wochen nach der Show verfünffachte.
Noch dazu war die Wahrscheinlichkeit, dass ein neuer Ku-Klux-Klan-Ableger gegründet wurde, in den Countys um ein Dreifaches höher, in denen der Streifen gelaufen war, als im Rest des Landes. Ein letzter Beweis für die verderbliche Wirkung ist auch das nicht, aber der Zusammenhang sticht ins Auge.
Eine Million Menschen sahen „The Birth of a Nation“ allein im Jahr 1915, bis 1930 hat er Schätzungen zufolge 60 Millionen Dollar eingespielt; ein kommerzieller Erfolg ohne Beispiel. In Filmaufnahmen aus dem Jahr 1930 sitzt Regisseur Griffith im Smoking mit einem Freund am Kamin und lässt rauchend seinen Triumph Revue passieren: Sein Vater habe im und nach dem Bürgerkrieg im Süden gegen die Schwarzen gekämpft, ein ehrenvoller Mann, dem das Wohl der Gemeinschaft so sehr am Herzen gelegen habe, dass er über dieses Ideal sich selbst vergaß. Und selbstverständlich sei der Ku-Klux-Klan nach der Niederlage der Südstaaten eine notwendige Sache gewesen.
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Den Effekt seines Werks macht Griffith nicht an technischen Innovationen fest. Der Schlüssel sei einfach gewesen – das Publikum habe gemerkt, dass alles, was er dargestellt habe, aus der Tiefe seines Herzens entsprungen sei. Hollywood sah das wohl ähnlich: 1936 erhielt D.W. Griffith den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk.
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Dieser Artikel wurde erstmals im Februar 2022 veröffentlicht.
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